Eigenbiographie von Hans Schweingruber
Meine besondere Liebe zum volkstümlichen Musizieren und Singen wurde mir eigentlich in die Wiege gelegt. Meine stets singfreudige Mutter verfügte über einen unversiegbaren Quell bester, schönster Volkslieder. Als Bäckersfrau besorgte sie vor Weihnachten, Neujahr, Ostern, Schulfest, Marktagen usw. mit aufgeweckten Nachbarstöchtern das „Garnieren“ von Körben voll bäuerlichen Backwerks, wie Lebkuchenherzen und Bärenlebkuchen. An solchen Arbeitsabenden wurde nicht viel „gelafert“, umsomehr aber gesungen, wobei ich als „Nästlibutz“ nicht bloss zuhören, sondern mitmachen durfte. Der Vater war ein unentbehrlicher 2.Tenor im Dorfmännerchor und ein ausgezeichneter Handörgeler. Er besass zwar nur ein einreihiges „Langnauerli“, welches er aber meisterhaft beherrschte. Kein Wunder, dass auch der kleine Hans auf diesem Instrument, unter Anleitung des Vaters, bald recht gut zu spielen verstand. In der grossen Stube stand auch ein Tafelklavier, wie sie das Spinett landläufig benannten und auf welchem meine älteren Brüder (ich kam 8 Jahre hintendrein) angelernt worden waren. Klar, dass mir dieses Instrument ebenfalls lieb wurde. 1897 übernahmen meine Eltern ein herrlich gelegenes Heimwesen auf der untern „Hauben“ in Oberdiessbach BE, weil Vater gesundheitshalber den Bäckerberuf aufgeben musste. Elfjährig, Sekundarschüler, überliess mir mein Bruder Ernst, damals schon Sekundarlehrer in Signau, sein altes Klavier, und ich durfte bei einer vorzüglichen Lehrerin Stunden nehmen. Nebenbei betrieb ich aber immer wieder das bodenständige Handörgelen, und auf Weihnachten beglückte man mich mit einer dreireihigen „Riggisberger“, auf welcher ich dank der 6 Basstasten (!) schon ganz hübsch volkstümlich modulieren konnte. Und was ich nie vergesse, mein Bruder Ernst, der später berühmt gewordene Dirigent von Chören höchster Klasse, stiftete den grössten Betrag an die 85-fränkige Handorgel. Auf der grossen Laube auf der Vorderfront des alten Bauernhauses, mit wohltuender Aussicht über die Hofstattbäume auf die Falkenfluh, Stockhorn und Niesen, im abseits vom Nachbarhaus direkt über dem Dorf gelegen, alten Gartenhaus oder beim Kühehüten konnte ich mit dem „Mansartenklavier“, Singen und Jodeln mir selbst und andern viel Freude bereiten. Mit Stolz denke ich zurück an das abendliche Fest des letzten Schulexamens. Dank meines Klavierspielens gelang es mir, mit einigen singfreudigen Klassengenossen „Schulleben“ einzustudieren, ein Zyklus von 8 Liedern, mit verbindendem Text und Klavierbegleitung, womit wir Lehrer, Kommission und Eltern freudig überraschten. So bin ich eigentlich schon in meinen frühen Jugendjahren zu dem geformt worden, was ich heute noch bin: Ein aus ganzem Herzen mitfühlender Freund volkstümlichen Singens und Musizierens.
Die darauf folgenden Studienjahre am bernischen Staatsseminar Hofwil haben nichts an meiner diesbezüglichen Stellung geändert. Unser strenger, verehrter Musik- und Gesangslehrer, Musikdirektor Hans Klee, war ein Meister in der Interpretation des Volksliedes und des klassischen Liedgutes. Seine tiefempfundenen Volksliedbearbeitungen waren vorbildlich. Unsere Promotion pflegte den Gesang neben dem Seminarchor des Herrn Klee noch liebevoll im freiwilligen Klassenchor, zu dessen Dirigenten ich ausersehen wurde. Da sangen wir dann nebst Klee auch Attenhofer, Weber, Abt, Silcher, Studentenlieder, und mit Hingabe das „Röslein im Walde“ von J.R.Krenger etc., fast lauter Lieder, die wir auch im kleinsten Kreise singen konnten.
Nach vier Jahren herrlicher Seminarzeit wirkte ich weitere vier Jahre als Lehrer an der Oberschule in Uetendorf (1906 – 1910). Im ersten Jahr hatte ich 67 Kinder zu unterrichten, gottlob eine liebe, zahme „Bande“. Auflockerung, Entspannung und Krönung fand ich hier in den Gesangsstunden. Vor allem die Mundartlieder lagen den Mädchen und Buben verblüffend gut, womit die Klasse an Examen und Schulfesten besonderen Dank erntete. Im Frühling 1910 erfolgte meine Wahl an die Primarschule Breitenrain (Spitalacker), wo mir gleich eine Oberklasse und der Gesangsunterricht an beiden Oberklassen anvertraut wurde. Ich hatte inzwischen geheiratet und in meiner lieben Frau einen treuen Kameraden gefunden, der verständnisvoll meine Ideale mit mir teilte. Als gewesener Oberturner des Turnvereins Oberseminar Bern und nachher als Leiter des Turnvereins Uetendorf lag es auf der Hand, dass ich auch in Bern einem solchen Verein beitrat. Ich wählte den Bürgerturnverein Bern, aus dessen Reihen zur Verschönerung der vielen Anlässe ein Jodlerdoppelquartett hervorgegangen war. Als man von meiner musikalischen Begabung hörte, wurde mir spontan die Leitung dieser Jodlergruppe übertragen. Zu einem guten Dutzend ausgezeichneter Sänger hatten sich dort der Tenorjodler Oskar Friedrich Schmalz und der Baritonjodler Ernst Flückiger gesellt. Ausser guten Quartettliedern wurden jetzt hauptsächlich der Jodel und das Jodellied gepflegt. Die Lieder und Jodel, die wir heute in den fünf ersten Bändchen „Bi üs im Bärnerland“ finden, brachte Oski damals die meisten durch Vorsingen zu uns, und wir formten sie dann stegreif vier bis sechsstimmig. Satztechnische Fehler konnte niemand bemängeln, weil ja nichts Schriftliches vorlag, und die so einstudierten Jodel und Jodellieder hinterliessen immer den Eindruck des heimeligen, unverfälschten Bodenstämmigen. Ich darf wohl heute aufrichtig sagen: Die Liebe und Treue zur Jodlersache, die ich als einzig wahre Retterin des Heimatsangs betrachte, wurden mir von den einstigen Bürgerturner-Jodlern entfacht.
Ich dirigierte Jahrzehnte auch Chöre, so den prächtigen Gemischten Chor Lorraine-Breitenrain Bern, welcher mir ganz besonders ans Herz wuchs, weil hier neben anspruchsvollen Kompositionen das Volkslied, auch das echte Berner-Mundartlied nie zu kurz kommen durfte. Sogar meine Jodellieder für Gemischten Chor wurden mit Begeisterung gesungen. Dieser Chor liess sich auch freudig einspannen zu dem Festspiel am Eidg.Turnfest 1948 und zum unvergesslichen „Singt Schweizern in der Fremde nie der Herdenreihen Melodie“ am Eidg.Jodlerfest 1949 in Bern. Als Jodlerdirigent wirke ich immer noch seit 1930 in der „Berna“ Bern, seit 1943 bei den Emmentaler Jodlern Konolfingen und seit 1954 beim Jodlerklub Worb.
Zu den geringschätzig über die Jodlerei urteilenden Kreisen hatte auch mein Bruder, der grosse Dirigent, gehört. Wir zwei haben diesbezüglich manches Hühnlein miteinander gerupft. Weil ich die Chöre zum Festspiel des Eidg.Jodlerfestes einstudiert hatte, brachte ich ihn dazu, die Hauptprobe zu besuchen. Und, o Wunder! Auf dem Heimwege klopfte er mir auf die Schulter und sagte: „Hans, jetzt begreife ich dich, du hast doch recht, wenn du dich für diese herzerfrischende Volkskunst hingibst“. Wer dann auch mehrere Wettgesangskonzerte besuchte und erstaunt war über die Darbietungen, war mein lieber Bruder. Von da an waren wir einig, dass wir uns in unserer Mission ideal ergänzten, er als Künstler und ich als Volkstümlicher. Er freute sich nun auch aufrichtig an meinen Jodelliedern, die er als aussergewöhnlich beurteilte.
Die schönte Anerkennung, die mir immer wieder bewies, dass ich mich im Dienst um den „Heimatgesang“ auf dem rechten Weg befand, war meine Wahl zu Kursleitungen und als Kampfrichter an kantonalen und Eidg.Jodlerfesten, nicht minder aber auch die treue Freundschaft unzähliger Jodlerkameraden.
Eigenbiographie, Bern Anfangs Januar 1965 (aus „Bärgblueme“ AKV 1 / 1965)
Weitere Angaben aus der „Bärgblueme“ 1 / 1989 der AKV (Red. J.Th.Hübscher)
Hans Schweingruber war langjähriges Vorstandsmitglied, Vizepräsident, Präsident, Ehrenmitglied und Ehrenpräsident der „AKV, Schweizerischen Gesellschaft volkstümlicher Autoren, Komponisten und Verleger“. Er war Vize-Präsident unter Oskar Friedrich Schmalz, später deren Präsident von 1946 bis 1970. Wir sind in vielseitiger Hinsicht Hans Schweingruber zu grossem Dank verpflichtet. Durch seine Intervention, den Einsatz von seiner integren Persönlichkeit kam es dazu, dass die ehemalige Mechanlizenz der Suisa zugeführt werden konnte, ohne dass nachstehende Persönlichkeiten keinen Schaden erlitten haben. Er hat auch viel für O.F.Schmalz getan: Fast alle neuen Lieder von Schmalz, gute und weniger gute, hat er mit seinem Jodlerklub „Bärna“ Bern oder den „Ämmitalerjodlern“ aus Konolfingen aus der Taufe gehoben und so bekannt gemacht. Jahrelang, und zwar genau von 1930 bis 1958 hat Hans dem BKJV und dem EJV als Kampfrichter und Kursleiter gedient. Von 1944 bis 1953 war er Kampfrichterobmann des BKJV. Am Eidg.Jodlerfest 1949 in Bern war er Hauptberichterstatter. Hans Schweingruber war Ehrenmitglied des BKJV und seit 1953 des EJV, Ehrenmitglied und Ehrendirigent des Gemischten Chors „Lorraine-Breitenrain“, Ehrenmitglied der „Ämmitalerjodler“ Konolfingen, Ehrenmitglied und Ehrendirigent des JK „Bärna“ Bern. Und jetzt etwas zum Jodelliederkomponist Hans Schweingruber. Manche Komponisten haben schöne Lieder, aber keinen „Wurf“. Hans hat neben schönen Liedern aber richtige „Würfe“, und zwar, wer kennte es nicht mit „Mues wieder einisch jutze singe“ für Männerjodelgruppen und „Chömet mir wie zäme stah“ für gemischten Chor. Am liebsten war neben diesen zwei für Männerchor mit Jodel: „Mys Heimatdorf“, „Schnittertanz“. Für Gemischte Jodelchöre: „Mys liebe Bärn“, „Abendlied“. Für Duett mit Jodel „“Heimat“, „Was me nid säge cha“. Hans Schweingruber ist in der Bäckerei in Riggisberg geboren worden. Sein Vater war neben seinem Bäckerberuf ein passionierter Bienenzüchter. Wir erinnern uns im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Kampfrichter und Kampfrichterkursleiter: Er vertrat die Ansicht „jede söll singe, wien em der Schnabel gwachsen isch“, also der Berner „bärndütsch“, der Zürcher „züritütsch“, dass also der Berner singt „Senne stöht uf“, der Zürcher „Sänne stöd uf“ und der Basler „Senne stönd uff“. Ja er ist sogar so weit gegangen, dass er akzeptiert hat, dass dort, wo es keine Lösung gab, wo der Ostschweizer nur eine Silbe für ein Wort hat, der Berner aber zwei, dass mit dem Einverständnis des Komponisten und Textdichters eine kleine Änderung vorgenommen werden durfte. „Aber sonst haben wir Berner-Kampfrichter Hans manch guten Hinweis zu verdanken“.
Stand 3.7.2013 TA |