Kuhn Gottlieb Jakob 16.10.1775 – 23.7.1948
Johann Gottlieb Kuhn war Pfarr-Vikar in Sigriswil BE, Lehrer in Bern, nachher Pfarrer in Rüderswil und zuletzt versah er ab 1924 bis zu seinem Tod das Pfarramt in Burgdorf. Er verfasste viele Gedichte heiteren und ernsteren Charakters, die er zum Teil selber vertonte. Viele wurden später von Ferdinand Fürchtegott Huber neu gesetzt, wie z.B. „Han-amen Ort es Blüemli gseh“ oder „Juhe, dr Geissbueb bin-i ja“. Einige seiner Texte findet man in Liedern von Oskar Friedrich Schmalz und Jakob Ummel („Hie häre ihr Senne“, „Uf de Bärge isch guet läbe“, „Gäng luschtig u ledig“, und andere). Anregungen zu schriftstellerischer Tätigkeit erhielt Kuhn schon im Elternhaus. Er sollte Pfarrer werden, doch war bei seinen misslichen wirtschaftlichen Verhältnissen an ein geregeltes Studium nicht zu denken. So wirkte er, statt Vorlesungen zu besuchen, von 1794 bis zu seiner Konsekration 1798 als Hauslehrer in der Familie des Landvogts Daniel Samuel von Rodt in Trachselwald. Mit ihm musste er 1798 nach dem Einmarsch der Franzosen das Schloss fluchtartig verlassen. Schon hier festigte sich seine schon von Haus aus konservative politische Gesinnung. Kuhn war ein überzeugter Anhänger des patriarchalischen Systems der altbernischen Aristokratie und ein unerbittlicher Gegner der liberal-demokratischen Ideen, die im Gefolge der Pariser Julirevolution sich auch in Bern durchsetzten (Mein Volk! Deine Leiter verführen dich!, 1831). – Kuhns dichterisches Talent entfaltete sich während der Vikariatszeit in Sigriswil (1799–1806). Tief beeindruckt von der natürlichen Schönheit und Wildheit seiner ländlichen Umgebung und angeregt von Sitten und Bräuchen der einheimischen Bevölkerung schuf er Gedichte in berndeutscher Sprache, die – meist in der Vertonung von Ferdinand Fürchtegott Huber, aber auch in Kuhns eigenen Weisen – bald volkstümliche Geltung erlangten und diese zum Teil bis heute behalten haben. 1806-1812 wirkte er als Lehrer in Bern. Anschließend war er Pfarrer in Rüderswil (1812–1824), wo er sich auch mit Schulfragen und Problemen der sozialen Wohlfahrt auseinandersetzte (Preisschrift „Bemerkungen über das Armenwesen des Cantons Bern“). Von 1824 bis zu seinem Tod amtierte er in Burgdorf, dem Ausgangspunkt der politischen Bewegung von 1830. Als Dichter trat er nun kaum mehr in Erscheinung, sondern widmete sich vorwiegend kirchenpolitischen Fragen und kirchengeschichtlichen Studien (Die Reformatoren Berns im 16. Jahrhundert, 1828). - Kuhns Bedeutung als Volksdichter ist unbestritten. Gleichzeitig mit Johann Peter Hebel, aber ursprünglich unabhängig von ihm, brachte er die Mundart zu literarischen Ehren. Seine besten Lieder zeichnen sich durch originelle Musikalität, echtes Sentiment, witzige und humorvolle Heiterkeit und scherzhafte, in politischem Zusammenhang auch bittere Ironie aus. Obwohl seinem erzählerischen Werk, verglichen mit dem lyrischen, kaum eigenständige Bedeutung zukommt, ist es literaturgeschichtlich gesehen doch ein wichtiges Mittelglied zwischen der Gessnerschen Idylle und dem Bauernroman Jeremias Gotthelfs (Otto von Greyerz). Kuhn war Herausgeber der Zeitschrift „Alpenrosen“ (seit 1810, mit R. Wyß).
Quellen: verschiedene und Buch 75 Jahre BKJV 1992
Zum 100.Todestage von Gottlieb Jakob Kuhn (aus der Jodlerzeitung vom 18.8.1949, Autor Adolf Schaer «Der Bund»)
Wenn der Burgdorfer Stadtpfarrer Gottlieb Jakob kurz vor seinem Tode schrieb: „Ach, ich sterbe so gerne!“, so war das mehr als nur der Ausdruck eines 73jährigen Lebensmüden. Es war das erschütternde Zeugnis der Resignation, der Enttäuschung. Geborener Stadtberner konservativer Weltanschauung, war er Freund der Tradition, glühender Patriot und Anhänger des positiv christlichen Glaubensbekenntnisses. Er hasste alle gewaltsamen Lösungen, hatte jedoch das Unglück, drei Revolutionen durchstehen zu müssen (1789, 1830, 1848). Er misstraute der Volksherrschaft - das Schicksal aber setzte ihn mitten in die Garküche der bernischen liberalen Regeneration hinein, nach Burgdorf; er höhnte über die Hegelsche Philosophie des konsequenten Fortschrittes – der Berner Lehrstuhl für Philosophie wurde aber durch einen Hegelianer besetzt. Der streitbare Pfarrer kämpfte auf demselben verlorenen Posten wie sein Kollege in Lützelflüh gegen den Zeitgeist, mit dem Unterschied allerdings, dass Jeremias Gotthelf jünger war und kraft seines Genies das Zeitgemälde „Zeitgeist und Bernergeist“ ins Zeitlose zu heben vermochte, d.h. ins Allgemeingültige. Vor diesem neuen Stern musste derjenige Kuhns verbleichen. Er war es schon längst, denn die 1830 aufgestiegene verpolitisierte Gesellschaftsschicht hatte für Kuhns beschauliche Heimatkunst kein Gehör mehr. Mit diesem Datum gingen auch die „Alpenrosen“ ein, das Organ der von Kuhn und seinem Kreis 1811 ins Leben gerufenen Vereinigung für vaterländische Poesie. Dieses blaue Blümchen der Romantik war verblüht. Seine Frucht jedoch, die musste treiben. 1879 erschien in Aarau Ottikers Auswahl Kuhnscher Gedichte; 1910 Stickelbergers Biographie und 1913 die Gesamtausgabe der Gedichte und Melodien. Kuhn erlebte hundert Jahre nach seiner intensivsten poetischen Wirksamkeit seine Renaissance. Es war das Verdienst der bernischen Heimatschutzbewegung. Demzufolge gedenken wir heute nicht so sehr des Todes des Dichters, sondern vielmehr der Auferstehung seiner Volkslieder. Sie erklangen erstmals an den Unspunner Hirtenfesten (1805/08). Die Lieder dieser ersten Periode aus der Vikariatszeit in Sigriswil, der glücklichsten Zeit in Kuhns Leben, entsprangen dem Urerlebnis des jungen Dichters, weshalb ihnen auch die grösste Unmittelbarkeit eignet („Bueb, mir wei uf ds Bergli trybe“, „Ha-n-amen Ort es Blüemli gseh“, „I de Flüehne ist mys Lebe“, „Gueti Nacht, mys Liebeli“). In Rüderswil, wo Kuhn von 1812 bis 1824 amtierte, galten alsdann seine Verse dem Erinnern. Das Heimweh nach den Bergen, dem „verlorenen Jugendland“, durchzittert diese Lieder (“Herz wohi zieht es dy?“, „Ach, wie churzen üsi Tage“, „E trurigs Stückli will i zelle“, „Juhe, der Geissbueb bin i ja“). Die Volkslieder leben nicht vom Text allein, sondern in hohem Masse auch von der Melodie. Eine schlechte Melodie vermag den besten Text nicht zu retten, wohl aber eine gute Melodie einen schlechten Text. Kuhn erzählt, wie bei einigen seiner Lieder Text und Melodie am Spinett gleichzeitig zur Welt kamen. Das sind Glücksfälle. Einen Glücksfall für Kuhn bedeutete dann auch seine Freundschaft mit dem St.Galler Musiker Ferdinand Huber, dessen Vertonung Kuhnscher Lieder wesentlich zu deren Verbreitung beitrug. Kuhn selber hat seine Lieder Gelegenheitsgedichte mit ganz bestimmter Tendenz genannt. Er gedachte an Stelle der kursierenden Gassenhauer etwas Besseres, dem edleren Teil des einfachen Volkes Gemässes zu setzen, ohne indessen durch prüde Zimperlichkeit sich beim Volke zum vornherein die Aufnahme selber zu verscherzen. Um das Grenzgebiet zwischen Gassenhauer und dem gerade noch Erlaubten abzutasten, so erklärte er, schuf er den „Kilter“ (Hoscho, Eisi!). Dafür wurde er von seinen „chers collègues“ Bänkelsänger geschumpfen. Er quittierte diesen Angriff mit den Worten, es sei ihm lieber, das Volk singe seinen „Kilter“ als schlümpfrige Zweideutigkeiten. Eine ganze Reihe der Kuhnschen Volkslieder werden heute noch gesungen, besonders auch bei den Auslandschweizervereinen. Ein Zeichen dafür, dass sie aus unserem Garten geholt und für unsere bekömmliche geistige Speisekarte zubereitet worden sind, gleichviel ob man sich des Autors noch erinnert oder nicht. Wichtiger ist, dass sie jenen Gedanken und Gefühlen Ausdruck verleihen, die uns allen vertraut sind, so lange es noch eine echte schweizerische Tradition gibt.
Stand 28.9.2024 IvA |